Der Sachverhalt
Der Fahrer eines PKW Alfa Mito befuhr an einem Sonntag die Bundesstraße mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 100 Km/h. Plötzlich tauchte ein VW T5 hinter dem Alfafahrer auf. Dieser fuhr ständig sehr dicht auf. Daher aktivierte der Alfafahrer zum Zwecke der Beweissicherung für den etwaigen Fall eines Zusammenstoßes seine Dashcam. Diese Kamera filmte sodann den Straßenbereich vor der Kühlerhaube des Alfas und speicherte die Aufnahmen auf einer SD-Speicherkarte.
Der Fahrer des VW überholte den Alfafahrer auf der linken Fahrspur. Kurz nach dem Überholvorgang zog der VW-Fahrer plötzlich und ohne zu blinken auf die rechte Spur des Alfafahrers und verlangsamte seine Geschwindigkeit. Mit diesem Fahrmanöver wollte er den Alfafahrer wohl maßregeln.
Der Alfafahrer wechselte auf die linke Fahrspur und überholte das Fahrzeug des VW-Fahrers. Dieser gab Gas und zog allmählich auf die Spur des Alfafahrers. Der Seitenabstand zwischen den Fahrzeugen betrug hier nur noch wenige Zentimeter. Es ist unerklärlich, warum es nicht zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen ist. Der Alfafahrer fuhr sodann zu einem Dönerladen. Der VW-Fahrer folgte ihm mit seinem Fahrzeug und hielt ebenfalls auf dem Parkplatz an. Dort folgte eine Schimpftirade des VW-Fahrers mit den Worten "dummer Wichser" und "Arschloch".
Die Dashcam zeichnete den Vorgang auf und die Aufzeichnung endete nach 5 Minuten auf dem Parkplatz des Dönerladens. Zeit und Datum waren in der Aufzeichnung eingeblendet. Insassen der Fahrzeuge waren nicht abgebildet.
Ist die Aufzeichnung der Dashcam verwertbar?
Die vorliegende Dashcam-Aufzeichung ist in vollem Umfang verwertbar, so das Urteil des Amtsgerichts Nienburg. Ihr steht weder ein Beweiserhebungs-, noch ein Beweisverwertungsverbot entgegen. Aus dem Bereich der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen zwar erste Entscheidungen der Eingangsinstanzen vor, strafgerichtliche Entscheidungen, so wie hier, sind noch nicht ersichtlich.
Anlassbezogene Dashcam-Aufzeichnung
Fertigt der Alfafahrer - wie hier - aus aktuellem und konkreten Anlass vorausschauend Beweismittel zum Nachweis der Begründung, Reichweite und Ausschluss einer gesetzlichen Haftung aus einem Unfallereignis und damit im Hinblick auf ein konkret bestimmbares gesetzliches Schuldverhältnis an, so ist dies in jeder Hinsicht mit den im Gesetz genannten Fällen der Erfüllung konkret bestimmter rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Zwecke vergleichbar. Es ist kein Grund ersichtlich, warum in diesem Zusammenhang zwischen rechtsgeschäftlichen bzw. rechtsgeschäftsähnlichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen unterschieden werden sollte. Der Betroffene verfolgt jeweils konkret abgegrenzte und bestimmbare vermögensbezogene Rechtsangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Betrieb seines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr.
Maßgeblich ist insoweit, dass die kurze, anlassbezogene Aufzeichnung nur die Fahrzeuge, aber nicht die Insassen der Fahrzeuge abbildet und nur Vorgänge erfasst, die sich im öffentlichen Straßenverkehr ereignen. Der Eingriff in das Recht des Angeklagten ist daher denkbar gering, während das Interesse des Alfafahrers an einem effektiven Rechtsschutz besonders hoch ist. Denn gerade die gerichtliche Aufklärung von Verkehrsunfallereignissen leidet fast ausnahmslos unter dem Mangel an verlässlichen, objektiven Beweismitteln. Zeugenaussagen sind vielfach ungenau und subjektiv geprägt, Sachverständigengutachten kostspielig und häufig unergiebig. Der anlassbezogene Einsatz der Dashcam ist deshalb in dieser konkreten Fallgestaltung für den vom Zeugen verfolgten Zweck der Beweissicherung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig.
Da die Aufnahme Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr abbildet, ist der absolute Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht betroffen. Denn nicht der Angeklagte selbst ist abgebildet, sondern nur sein Fahrzeug.
Bedenken des Gerichts
Das Gericht hat nur für den Fall bedenken, dass Autofahrer gezielte Verkehrsüberwachung betreiben, etwa um massenhaft vermeintliche Verkehrssünder anzuzeigen. So liegt der Fall aber nicht. Hier ging es nicht um einen derartigen "Hilfssheriff", der aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels Dashcam-Aufzeichnungen Daten für staatliche Strafverfahren erhebt. Vielmehr hatte der Kamerabesitzer die Dashcam nach eigenen Angaben erst aktiviert, nachdem er bedrängt worden war.
Das Amtsgericht Nienburg hat sich in seinem Urteil sehr ausführlich mit dem Bundesdatenschutzgesetz befasst. Bei weiterem Interesse empfehlen wir den Volltext des Urteil zu lesen. Diesen finden Sie hier.
Rechtsgrundlagen:
§ 3 Abs 2 S 2 BDSG,
§ 4 Abs 1 BDSG,
§ 6b BDSG,
§ 28 Abs 1 Nr 1 BDSG
u.m.
Gericht:
Amtsgericht Nienburg, Urteil vom 20.01.2015, 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14)
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