Der Sachverhalt
Die Beschwerdeführer waren vom Amtsgericht Augsburg wegen des öffentlichen Anschlagens volksverhetzender Schriften in Form des Angriffs auf die Menschenwürde durch böswilliges Verächtlichmachen eines Teils der Bevölkerung zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie als Mitglieder des Vereins "Augsburger Bündnis - Nationale Opposition" für eine im Juni 2002 durchgeführte Aktionswoche großformatige Plakate entworfen und gestaltet hatten. Die Plakate trugen unter anderem die Aufschrift "Aktion Ausländer-Rück-Führung - Für ein lebenswertes deutsches Augsburg".
Die Entscheidung
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in drei zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren strafgerichtliche Verurteilungen wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b StGB aufgehoben und die Sachen an das Ausgangsgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Nach Auffassung der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts verstoßen die strafgerichtlichen Verurteilungen gegen die Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die Strafgerichte müssen den Sinn einer zu beurteilenden Äußerung zutreffend erfassen und zudem auf der Ebene der Auslegung grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsgut vornehmen. Zwar muss gegenüber der Menschenwürde das Grundrecht der Meinungsfreiheit stets zurücktreten. Soweit aber angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die Menschenwürde beeinträchtigt, ist eine besonders sorgfältige Begründung erforderlich. Ein Angriff auf die Menschenwürde ist nur dann gegeben, wenn der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Dem entspricht es, dass die Strafgerichte bei der Parole „Ausländer raus“ nur unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde ausgehen.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die strafgerichtlichen Verurteilungen nicht.
Das Landgericht hat der Aussage auf dem Plakat einen Sinngehalt gegeben, den das Plakat aus sich allein heraus nicht hat und der auch nicht anderweitig durch die übrigen Ausführungen des Landgerichts in verfassungsrechtlich tragfähiger Weise begründet wird. In dem von den Beschwerdeführern entworfenen Plakat wird nicht die Minderwertigkeit von Ausländern ausgesprochen wie zum Beispiel durch die pauschale Zuschreibung sozial unerträglicher Verhaltensweisen oder Eigenschaften. Eine solche Zuschreibung ergibt sich auch nicht aus der Bezeichnung „Ausländer“ in dem Wort „Ausländer Rück-Führung“, das dem Begriffspaar „deutsches Augsburg“ und „lebenswert“ gegenübergestellt wird. Die Worte „Aktion Ausländerrückführung“ sagen dies ebenfalls nicht aus. Zwar macht das Plakat unmissverständlich deutlich, dass die Initiative der Beschwerdeführer Ausländer „rückführen“ will. Der Umfang und die Mittel, ob nun beispielsweise durch Anreiz oder Zwang, werden jedoch nicht benannt. Dem Plakat ist daher nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass Ausländer entrechtet oder zum Objekt gemacht werden sollen beziehungsweise als rechtlos oder Objekt angesehen werden. Um zu einer diesbezüglichen Deutung des Plakates zu gelangen, hätte das Landgericht konkrete Begleitumstände benennen müssen, die dieses als unter den Umständen einzig vernünftige Deutung hinreichend begründen. Derartige Begleitumstände sind aus den Ausführungen des Landgerichts nicht ersichtlich.
Das Landgericht hat auch auf eine Abwägung der widerstreitenden Belange verzichtet, ohne diesen Verzicht zu begründen. Die bloße Behauptung, dass der Plakattext mehr sei als eine Äußerung, die lediglich emotionale Ablehnung ausdrücke, sowie das Abstellen darauf, dass sich der Angriff nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richte, sondern undifferenziert sei, weil er sich auf alle in Augsburg lebenden Ausländer beziehe, tragen die Qualifizierung des Plakattextes als Menschenwürdeverletzung nicht. Ausgehend von dem Erfordernis einer besonders sorgfältigen Prüfung für die Annahme einer Menschenwürdeverletzung darf aus der Pauschalität einer verbalen Attacke nicht ohne weiteres auf ein Verächtlichmachen geschlossen werden, das den Betroffenen ihre Anerkennung als Person abspricht.
Auch die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, die im Wesentlichen die Entscheidung des Landgerichts nur bestätigt, genügt den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht, da es sich in einem einzigen Satz mit der Feststellung begnügt hat, dass ein Angriff auf die Menschenwürde vorliege, ohne dies näher zu begründen.
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Aktenzeichen: 1 BvR 369/04
Pressemitteilung Nr. 13/2010 vom 5. März 2010
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