Es scheint fast so, als soll so die mittlerweile überholte falsche Auslegung der Darlegungslast in Filesharingverfahren durch überhöhte Anforderungen wieder eingeführt werden.
Ein Beitrag der Rechtsanwaltskanzlei Sedlmeir
Was war los?
Mit Urteil vom 05.06.2013 (Az. 28 O 346/12) wurde ein Familienvater vom AG LG Köln verurteilt Lizenzschaden und vorgerichtliche Anwaltskosten in einem P2P-Filesharing-Verfahren zu zahlen. Diese belaufen sich auf knapp 7000 Euro. Es handelte sich um einen Familienanschluss. Jeder der Familienmitglieder (4) hatte selbstständig Zugang. Es wurde massivst über den Anschluss Filesharing betrieben und es waren auch viele Daten auf dem Rechner.
Der Beklagte sagte, dass er es nicht war. Die anderen Familienmitglieder hatten gegenüber den Kläger versichert, dass sie ebenfalls kein Filesharing vorgenommen hatten. Dies blieb von Klägerseite unbestritten.
Der Beklagte sagte in ein und dem selben Schriftsatz, aber an verschiedenen Stellen, dass er seinen Familienmitgliedern grundsätzlich glaube und auch keinen Grund habe das nicht zu tun, aber (später) dass er es (natürlich) nicht ausschließen könne, dass nicht doch einer Filesharing betrieben habe.
Und diese, für Familien mehr als natürliche Ambivalenz aus Vertrauen und Misstrauen, wie sie gerade bei Kindern in der Pubertät, normal und angebracht ist, soll nun dazu ausreichen, dass der Familienvater auf knapp 7000 Euro verklagt wird.
Wie das?
Wie bekannt besteht bei Filesharing-Fällen die gesetzliche Vermutung, dass der Anschlussinhaber auch der Verletzer ist.
Und, da ja alle erheblichen Tatsachen auf Seiten des Anschlussinhabers liegen gibt es eine Besonderheit zur normalen Beweislastverteilung, bei der jeder das beweisen muss, was für ihn günstig ist.
Die berühmt - berüchtigte sekundäre Darlegungslast
Jahrelang konnten die Anwälte der Rechteinhaber - und wahrscheinlich werden es einige immer noch tun- von Amtsrichtern gedeckt behaupten, es handele sich um eine Beweislastumkehr. Dass also der Anschlussinhaber beweisbelastet sei und erst dann aus dem Anscheinsbeweis entkommen könne, wenn er "Ross und Reiter" nenne.
Gerade in letzter Zeit wurde von einigen Gerichten diese Behauptung berichtigt. Denn es ist nun mal, wie es der Name ja schon sagt, eine Darlegungslast- und keine Beweislast. Hierbei reicht es, wenn die ernsthafte Möglichkeit der Täterschaft einer anderen Person besteht. Auch dann, wenn der Anschlussinhaber grundsätzlich den Unschuldsbeteuerungen seiner Haushaltsmitglieder folgt (So u.a. auch die 33. Zivilkammer des LG Köln im Urteil vom 11.09.2012, Az.: 33 O 353/11).
"Diese sekundäre Darlegungslast geht aber in der Regel nicht so weit, dass der Anschlussinhaber durch eigene Nachforschungen aufklären müsste, wer Täter der Rechtsverletzung ist (vgl. OLG Hamm, MMR 2012, 40)."
Es ist also NICHT der Anschlussinhaber, der beweisen muss, dass er es nicht war, sondern immer noch der Rechteinhaber, dass er es war. Und wenn er darlegen kann, dass es berechtigte Zweifel gibt, dann reicht das aus um nicht einfach verurteilt zu werden.
Und all das bestreitet das AG LG Köln auch gar nicht
"Den Beklagten trifft nach der Rechtsprechung des BGH im Rahmen der gegen ihn streitenden tatsächlichen Vermutung eine sekundäre Darlegungslast bezüglich der Tatsachen, die für die konkrete Möglichkeit eines atypischen Lebenssachverhalts sprechen. Jene ist eine gesteigerte Verpflichtung zur Substantiierung durch die nicht beweisbelastete Partei für einen Fall, bei dem die beweisbelastete Partei außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablauf steht und deshalb die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der nicht beweisbelasteten Partei bekannt sind und ihr deshalb ergänzende Tatsachen zumutbar sind. Dies bedeutet, dass die beweisbelastete Partei ihrer abstrakten Behauptungslast durch ganz pauschale Darstellungen und Behauptungen genügt, wenn es sich um Ereignisse oder Umstände handelt, die diese Partei nicht kennen kann. Es obliegt dann der Gegenpartei, diese pauschalen Behauptungen durch eine detaillierte Schilderung der streitigen Vorgänge zu beantworten, so dass die beweisbelasteten Partei die Möglichkeit hat, durch Bestreiten oder Beweisantritte zu reagieren."
Aber es sagt: "Diese tatsächliche Vermutung hat der Beklagte nicht erschüttern können, da er keine konkrete Möglichkeit eines atypischen Lebenssachverhalts dargelegt hat."
Weil der Vater im gleichen Schriftsatz sagt, er glaube den Kindern und der Ehefrau, könne aber deren Täterschaft nicht ausschließen, verwehre er den Klägern die Möglichkeit darauf auf Bestreiten oder Beweisanträge zu reagieren. Er würde eben keine konkrete Möglichkeit eines atypischen Lebenssachverhalt darlegen-dass er eben nicht der Täter ist, obwohl er der Anschlussinhaber ist.
Kritik
Und das geht meiner Meinung deutlich zu weit. Und wird wohl in einer Berufung oder spätestens in einer Revision nicht halten.
1. Alles getan, was er konnte um Kläger die Überprüfung zu ermöglichen
Das Gesetz und auch das Gericht spricht davon, dass die Verpflichtung bestehe "Tatsachen" zu substantiieren, die für den atypischen Lebenssachverhalt spricht. Wenn der mit der Darlegungslast Belegte, aber nun keine Tatsachen substantiieren kann, weil er nunmal selbst nur auf Vermutungen gestützt aussagen kann, dann kann das nicht gegen ihn sprechen.
Was er konnte, hat er getan. Er hat ja gesagt, dass neben dem Vertrauen in seine Familie eine Restunsicherheit nicht auszumerzen ist und damit hat er sehr wohl einen atypischen Lebenssachverhalt geschildert.
Es ist fast normal, dass ein Minderjähriger mit Tauschbörsen in Berührung kommt und die Zeiten in denen aufgrund der Einfachheit der Programme nicht auch ältere Semester zu Tauschbörsen und dergleichen greifen, ist auch schon lange vorbei.
Wenn man also, was das Gericht mit der langen Zitierung von Stellen über die Darlegungslast das nahelegt, eben diese ernst nimmt, dann muss man akzeptieren, dass hier die Darlegungslast erfüllt ist und die Ansprüche der Rechteinhaber ins Leere gehen. Das mag bitter sein, ist aber nun mal juristisch korrekt.
2. Grundsätzliches Vertrauen in Familie nicht schädlich
Die Äusserung, dass er seiner Familie zwar traue, aber dennoch nicht sicher ist, ob es von diesen nicht doch zu einer Filesharingaktivität gekommen ist, ist nicht widersprüchlich, sondern eben Ausdruck der Vermutungslage, die er hegt und die er als einziges den Klägern gegenüber darlegen kann.
Was hätte er auch sagen sollen? "Ich vermute, dass meine Tochter es war. Oder meine Frau. Oder mein Sohn. Ich glaube Ihnen nicht. Sie sind zwar meine Familie, aber das ist egal, es sind alles Lügner."
Die Familie steht unter Schutz des Staates und nicht nur als Institution, sondern als soziales Gebilde und der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (I ZR 74/12) hat in seinem Urteil zur Haftung von Eltern bei Filesharing-Verstößen ausdrücklich festgestellt, dass die Überwachungspflichten nicht zu einem Generalverdacht führen müssen. Der Vater muss also den Beteuerungen seiner Familienangehörigen Glauben schenken dürfen. Keinesfalls darf das zum Ausdruck gebrachte grundsätzliche Vertrauen in die Familie dazu führen, dass ihm hier ein Nachteil entsteht.
Regel (Vertrauen)-Ausnahme (vielleicht doch nicht) kein Widerspruch
Im Übrigen ist gerade doch die Regel - Ausnahme Technik unter Richtern und Gesetzgebern sehr bekannt und es kommt niemand auf die Idee hier einen Widerspruch zu sehen.
Es bleibt zu hoffen, dass Berufung eingelegt wird.
Was klar wird, jeder Fall in diesem Bereich ist ein besonderer Fall. Spätestens, wenn es vor Gericht geht. Und es geht oft wirklich um Kleinigkeiten, die beachtet werden müssen und die einen Fall entscheiden. Daher sollten Sie, spätestens wenn Sie vor Gericht gehen wollen einen Rechtsanwalt beauftragen.
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Über Rechtsanwalt Dominik Sedlmeir LL.M., M.A.:
Dies ist der Blog von Rechtsanwalt Dominik Sedlmeir, München. Tätigkeitsschwerpunkte Gewerblicher Rechtsschutz, Markenrecht, Urheberrecht und Internetrecht.
Beitragshinweis: In diesem Beitrag wurde fälschlicher das Amtsgericht (AG) als Entscheidungsgericht angeführt. Tatsächlich handelt es sich um eine Entscheidung des Landgerichts Köln. |
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