Bei einer Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine Krankheit. Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden.

Der Sachverhalt

Der alkoholabhängige Arbeitnehmer, der Mitglied der klagenden Krankenkasse ist, war knapp vier Jahre der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Im November 2011 wurde der Arbeitnehmer mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt.

Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Die Krankenkasse leistete Krankengeld iHv. 1.303,36 Euro. Die Krankenkasse macht in dieser Höhe Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) gegenüber der beklagen Arbeitgeberin geltend. Sie meint, ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen die Arbeitgeberin habe bestanden, da es an einem Verschulden des Arbeitnehmers für seinen Alkoholkonsum im November 2011 fehle.

Arbeitgeberin bejaht ein Verschulden

Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, ein Verschulden sei bei einem Rückfall nach mehrfachem stationärem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (10 AZR 99/14)

Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur dann verschuldet iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt, so das Urteil des BAG (10 AZR 99/14).  Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer fehlt es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden.

Entstehung der Alkoholsucht ist multikausal

Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber kann deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten.

Wenn Verschulden nicht geklärt werden kann, geht dies zulasten des Arbeitgebers

Das Arbeitsgericht hat dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft iSd. § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Lässt sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, geht dies zulasten des Arbeitgebers. Das im konkreten Fall eingeholte sozialmedizinische Gutachten hat ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden "Suchtdruck" ausgeschlossen.

Rechtsgrundlage

§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG lautet: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

Gericht:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2015 - 10 AZR 99/14

BAG, PM
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