Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat erstmals mit Urteil entschieden, dass ein Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle insgesamt unangemessen lang angedauert hat. Von einer unangemessene Verfahrensdauer sei - so der 7. Senat - auszugehen, wenn eine Abwägung aller Umstände ergebe, dass die aus den genannten Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, verletzt sei.
In dem konkreten Fall hatte sich eine Polizeibeamtin gegen ihre Umsetzung in ein anderes Revierkommissariat gewandt. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurde zwei Jahre nach Eingang der Klage abgeschlossen. Der Senat befand, dass angesichts der geringen Schwierigkeit bzw. Komplexität des Verfahrens eine Gesamtbearbeitungsdauer des Ausgangsrechtsstreits mit über zwei Jahren und dessen Bearbeitung in einzelnen Verfahrensstadien nicht mehr als angemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG anzusehen sei und erkannte der Polizeibeamtin eine Entschädigung zu.
Rechtsgrundlagen:
§ 198 Abs. 1 GVG: Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
§ 198 Abs. 2 GVG: Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
Gericht:
Oberverwaltungsgericht Magdeburg, Urteil vom 25.07.2012 - 7 KE 1/11
Hintergrund:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat viele Jahre das Fehlen eines besonderen Rechtsschutzes bei unangemessen langen Verfahren in Deutschland beanstandet. Mit seinem Urteil vom 6. Juli 2010 (Beschwerde-Nr. 46344/06) betonte der EGMR erneut, dass bei überlanger Dauer gerichtlicher Verfahren neben dem in Artikel 6 Absatz 1 EMRK garantierten Recht auf ein faires und zügiges Verfahren auch das in Artikel 13 EMRK verbürgte Recht auf wirksame Beschwerde verletzt sein kann. Der Gerichtshof befand einstimmig, dass Deutschland unverzüglich, spätestens aber innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft dieses Urteils, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einführen muss.
Diesem Anliegen ist die Bundesrepublik Deutschland mit dem am 3. Dezember 2011 in Kraft getretenen Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nachgekommen. Das Gesetz führt für überlange Gerichtsverfahren einen Entschädigungsanspruch ein, der materielle sowie immaterielle Nachteile umfasst (§ 198 Abs. 1 GVG). Der Anspruch setzt voraus, dass der Betroffene vor dem mit der Hauptsache befassten Gericht die Verfahrensdauer gerügt hat (sog. Verzögerungsrüge, § 198 Abs. 3 GVG).
OVG des Landes Sachsen-Anhalt, PM Nr. 11/2012Rechtsindex - Recht & Urteil
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