Der Sachverhalt
Der 44-jährige Kläger nimmt seinen Fahrlehrer auf Schmerzensgeld und Verdienstausfall in Anspruch, weil der Fahrlehrer schuldhaft Obhuts- und Schutzpflichten des Ausbildungsvertrags verletzt habe. Während der dritten Doppelstunde ereignete sich mit dem Motorrad (53 KW/72 PS) ein Unfall.
Der Kläger gab beim Anfahren aus dem Stillstand in einen Kreisverkehr zu viel Gas gab, ließ die Kupplung zu schnell kommen und verlor dadurch die Kontrolle über das Motorrad. Er überfuhr die Mittelinsel und kollidierte mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, wodurch er schwere Verletzungen erlitt.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Fahrstunden ausschließlich mit einer auf 25 KW/34 PS gedrosselten Maschine sonst gleichen Bautyps absolviert. Dabei war ihm bereits ein ähnlicher Fehler unterlaufen, der zwar folgenlos blieb, die Parteien aber veranlasste, jene Fahrstunde abzubrechen.
Nachfolgend werden aus dem Urteil primär die Schutzpflichten zugunsten des Fahrschülers wiedergegeben.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig (Az. 17 U 112/14)
Nach Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig (Az. 17 U 112/14), haftet der beklagte Fahrlehrer gemäß §§ 280, 611, 253 BGB auf Schmerzensgeld und Schadensersatz, da er schuldhaft Obhuts- und Schutzpflichten des Ausbildungsvertrags verletzt hat und diese Pflichtwidrigkeit ursächlich für den Unfall des Klägers geworden ist.
Beim Motorradfahrunterricht hat der Fahrlehrer angesichts seiner verminderten Einwirkungsmöglichkeiten auf den Fahrschüler in besonderem Maße darauf zu achten, dass der Fahrschüler an anspruchsvollere Aufgaben des Fahrunterrichts erst dann herangeführt wird, wenn er bei den Grundübungen Sicherheit erlangt hat. Kommt es zu krisenhaften Situationen ("Beinaheunfall"), muss der Fahrunterricht nötigenfalls einen Schritt zurück gehen. (amtlicher Leitsatz)
Weitgehende Schutzpflichten zugunsten des Fahrschülers
- Der Fahrlehrer muss darauf achten, dass keine Überforderung des Schülers vorliegt (OLG Hamm, NJW-RR 2004, Seite 1095).
- Der Fahrlehrer darf einen Motorradfahrschüler erst nach ausreichender Vorbereitung auf Fahrsituationen, wie sie sich dem Motorradfahrer auf öffentlichen Straßen stellen, am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen lassen.
- Der Fahrlehrer darf dem Fahrschüler keine Aufgaben stellen, die dieser nicht oder noch nicht meistern kann, weil sie seinem Ausbildungsstand und seinen Fähigkeiten nicht oder noch nicht entsprechen (OLG Rostock, DAR 2005, Seite 32 f.).
- An die Einhaltung der Pflichten des Fahrlehrers ist zum Schutze der Fahrschüler ein strenger Maßstab anzulegen (BGH NJW 1969, Seite 2197).
- Da die Eingriffsmöglichkeiten des Fahrlehrers im Rahmen der Motorradausbildung vergleichsweise begrenzt sind, hat der Fahrlehrer die Pflicht, den Motorradschüler nur mit ausreichender Vorbereitung in den öffentlichen Verkehr zu schicken und den Schwierigkeitsgrad der Ausbildung nur sehr behutsam zu steigern.
- Der Fahrlehrer hat darauf zu achten, dass der Fahrschüler das Motorrad ausreichend beherrscht. Kriterium für das Maß der Überwachungspflichten ist der jeweilige Ausbildungsstand.
Grundsätzlich muss der Fahrlehrer, wie vorliegend im Ansatz auch geschehen, zunächst ausführlich das Anfahren und sodann das Fahren mit einer Maschine außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs oder in einem sogenannten "Schonraum" üben, bevor der Fahrschüler in den öffentlichen Straßenverkehr geführt wird.
Dokumentationspflicht des Fahrlehrers
Der Fahrunterricht und dessen Inhalte sind zu dokumentieren. Unterbleibt eine Dokumentation oder ist sie in erheblichem Maße unvollständig, wird eine schuldhafte Verletzung der Ausbildungspflichten vermutet. (amtlicher Leitsatz)
Gericht:
Oberlandesgericht Schleswig, Urteil vom 11.03.2016 - 17 U 112/14
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