Gerade an Ampeln, Einfahrten oder Kreuzungen kommt es regelmäßig zu Auffahrunfällen. Man hat nur eine Sekunde nicht aufgepasst und schon hat es gekracht. Nun beginnt der Streit um die Schuldfrage, bei deren Klärung oftmals der sog. Anscheinsbeweis weiterhelfen kann. Hier darf sich jedoch kein Automatismus entwickeln - entscheidend ist immer der Einzelfall.
Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall
Bei einem Auffahrunfall kommt regelmäßig der sog. Anscheinsbeweis zum Tragen. Danach wird angenommen, dass der Hintermann den Unfall mit verkehrswidrigem Verhalten verursacht hat - typischerweise hat der nämlich z. B. nur einen ungenügenden Sicherheitsabstand eingehalten oder er war unaufmerksam bzw. zu schnell unterwegs. Er muss dann unter Umständen den Schaden des Unfallgegners vollständig ersetzen. Der Anscheinsbeweis kann jedoch erschüttert werden. Der Hintermann muss dann allerdings beweisen, dass gerade kein - für den Anscheinsbeweis - typischer Sachverhalt vorliegt, sondern vielmehr das Verhalten des Vordermanns Grund für die Kollision war. Somit kann es ganz schnell passieren, dass der Geschädigte zum „Schuldigen“ und damit zumindest teilweise zum Schadenersatzpflichtigen wird.
Vollbremsung trotz grüner Ampel
Kurz vor einer Kreuzung standen mehrere Fahrzeuge an einer roten Ampel. Als sie grün wurde, setzten sich die Kfz langsam in Bewegung. Allerdings bremste die Führerin des dritten Autos kurz darauf wieder abrupt bis zum Stillstand ab. Die nachfolgende Autofahrerin konnte nicht schnell genug reagieren, fuhr auf den Wagen der Vorderfrau auf - und verlangte später 2/3 ihres Schadens von der Vorderfrau ersetzt. Die lehnte eine Zahlungspflicht jedoch ab. Sie habe schließlich nur deshalb so plötzlich gebremst, weil sie befürchtet habe, dass eine Radlerin von rechts kommend einfach auf die Straße und vor ihren Pkw fährt. Im Übrigen komme der Anscheinsbeweis zur Anwendung, wonach allein die Auffahrende für den Schaden aufkommen müsse. Der Streit der Unfallbeteiligten endete vor Gericht.
Bremsmanöver war Unfall-Hauptursache
Das Landgericht (LG) Saarbrücken entschied, dass die Autofahrerin, die so plötzlich gebremst hatte, für den Unfall überwiegend verantwortlich war, und setzte deren Haftungsquote auf 2/3 fest.
Schließlich hatte sie gegen § 4 I 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen. Danach darf nicht ohne triftigen Grund abgebremst werden. Ein solch zwingender Grund liegt aber nur bei einer ernsten und plötzlichen drohenden Gefahr vor. Die war hier aber nicht gegeben. Denn die Radlerin hatte vor Gericht ausgesagt, dass sie nicht auf die Straße fahren, sondern vielmehr auf dem Bürgersteig habe anhalten wollen. Im Übrigen durfte die Autofahrerin während der Grünphase darauf vertrauen, dass ihr niemand die Vorfahrt nimmt und sie daher auch nicht plötzlich abbremsen muss. Die Grünphase soll vielmehr zur zügigen Weiterfahrt genutzt werden - nur so ist es möglich, den fließenden Verkehr aufrechtzuerhalten. Aber auch ihre Unfallgegnerin trug eine Mitschuld an der Kollision. Erstens war der Unfall beim Betrieb ihres Fahrzeugs passiert und zweitens hätte sie beim Anfahren an der grünen Ampel besonders vorsichtig handeln müssen, um im Notfall schnell abbremsen zu können. Sie haftete daher zu 1/3.
Eine höhere Haftungsquote kam dagegen nicht in Betracht. Das Gericht hielt das Verschulden der Autofahrerin für eher gering. Auch war der Anscheinsbeweis vorliegend erschüttert: Es lag ein atypischer Sachverhalt vor. Denn nicht die nachfolgende Autofahrerin hatte den Unfall allein bzw. überwiegend verursacht, sondern vielmehr die Vorderfrau mit ihrem plötzlichen und grundlosen Bremsmanöver. Mit dem hatte die nachfolgende Autofahrerin nicht rechnen müssen - hatten doch andere Fahrzeugführer die Kreuzung nach Beginn der Grünphase ohne Probleme passieren können, ohne Anlass zur Vollbremsung zu haben.
Gericht:
Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.11.2015 - 13 S 67/15
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