Der Sachverhalt
Eine ehemals als Sachbearbeiterin tätige Frau aus Gießen bezog nach Aufhebung ihres Arbeitsvertrages Arbeitslosengeld. Nachdem sie der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt hatte, dass sie ein Studium der Betriebswirtschaft aufnehmen werde, hob die Bundesagentur für Arbeit die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab Semesterbeginn (1. September 2010) auf. Als eingeschriebene Studentin könne sie nur eine versicherungsfreie Beschäftigung ausüben und stehe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.
Die 29-jährige Frau ist hingegen der Auffassung, dass dies für die Zeit zwischen Semesterbeginn und Vorlesungsbeginn (4. Oktober 2010) nicht gelte.
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (L 9 AL 148/13)
Arbeitslosengeld kann nur beanspruchen, wer den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Diese Verfügbarkeit wird bei Studierenden regelmäßig verneint, weil sie - so die gesetzliche Vermutung - nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben können. Beginnt das Studium für den Studierenden erst mit Beginn der Lehrveranstaltungen, so kann diese Vermutung widerlegt werden.
Studentin bekommt Recht
Die Richter gaben der Studentin Recht. Allein durch die Immatrikulation (Einschreibung an einer Hochschule) sei keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten, aufgrund derer die Bewilligung des Arbeitslosengeldes aufzuheben gewesen sei, so das Urteil (Az. L 9 AL 148/13) des Hessischen Landessozialgerichts.
Aus dem Urteil: [...] Durch die Immatrikulation der Klägerin zum Studium ist vorliegend - bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum - keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides über die Bewilligung von Arbeitslosengeld vorgelegen haben, eingetreten. Nach § 120 Abs. 2 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I 2917 - a. F.) wird bei Schülern oder Studenten einer Schule, Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte vermutet, dass sie nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben können. Die Vermutung ist widerlegt, wenn der Schüler oder Student darlegt und nachweist, dass der Ausbildungsgang die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulässt. Die Bestimmung entspricht dem früheren § 103a AFG. § 120 Abs. 2 Satz 2 SGB III a. F. fordert für die Widerlegung dieser Vermutung - in einem ersten Schritt - Darlegungen des Studierenden, dass nicht bereits die abstrakten Regelungen in den einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung entgegenstehen. Darüber hinaus muss der Studierende - in einem zweiten Schritt - darlegen und nachweisen, wie er sein Studium gestaltet hätte, um daneben einer Beschäftigung nachgehen zu können, die nicht unter das Werkstudentenprivileg des § 27 Abs. 4 SGB III fällt (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 1996 - 7 RAr 18/94 - SozR 3-4100 § 103 Nr. 15). [...]
Die Studentin habe nachgewiesen, dass sie in der Zeit zwischen Semesterbeginn und Vorlesungsbeginn keinen Studienanforderungen ausgesetzt gewesen sei und ihr Studium im 1. Fachsemester tatsächlich erst am 4. Oktober 2010 begonnen habe. Somit habe - so die Richter - die Studentin bis zum 3. Oktober 2010 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Die gesetzliche Vermutung sei insoweit widerlegt.
Gericht:
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.02.2015 - L 9 AL 148/13
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