Der Sachverhalt
Im verhandelten Fall (Az. L 10 VE 46/12) erhielt eine 45 jährige Apothekerin insgesamt 5 Erpresserschreiben, welche nacheinander an der Terrassentür des Privathauses der Klägerin befestigt waren, in den Briefkasten der Apotheke eingeworfen wurden, hinter den Scheibenwischer des PKW der Klägerin geklemmt waren und in den Briefkasten eines Nachbarn eingeworfen wurden.
Für den Fall der Nichtzahlung der geforderten 8.500 bzw 9.000 € drohte der Täter sowohl die Tötung der Klägerin und deren Kinder als auch die Inbrandsetzung des Familienhauses an. Weiterhin drohte er Gift in Lebensmittelgeschäften zu verteilen, sowie Attentate auf fahrende Autos zu verüben.
Die Klägerin hatte zwar unter Mitwirkung der Polizei Geldpakete hinterlegt. Die Geldübergabe scheiterte aber, da der Täter die Pakete aus Angst vor Entdeckung nicht abholte. Die Erpressungen endeten nach einer polizeilichen Durchsuchung bei dem Täter.
Die Klägerin machte mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Braunschweig und dem Berufungsverfahren vor dem LSG Ansprüche nach dem OEG gegenüber dem Land Niedersachsen aufgrund der erlittenen massiven psychischen Schäden geltend. Bei ihr bestehe ein posttraumatisches Belastungssyndrom, sie leide unter Angstzuständen und Schlafstörungen. Das SG hat die Klage abgewiesen.
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen - Bremen
Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass das die Erpressungsversuche keinen "tätlichen Angriff" im Sinne des OEG darstellen und die Klägerin daher keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG habe. Ein "tätlicher Angriff" liege nur bei einer gegen die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person gerichteten Kraftentfaltung vor. Vorliegend stelle die Bedrohung der Klägerin mit Gewalt einen solchen Angriff noch nicht dar.
Bedrohung kein "tätlicher Angriff"
Dies wäre auch dann nicht so einzustufen, wenn die Klägerin und der Täter sich gleichzeitig auf dem Grundstück der Klägerin befunden hätten. Die gleichzeitige Anwesenheit sei aber nicht einmal bewiesen. Der Senat führte weiter aus, dass nicht relevant sei, ob die Drohungen des Täters ernst gemeint gewesen seien oder ob der Täter diese überhaupt hätte umsetzen können. Der 10. Senat hat vielmehr darauf abgestellt, dass z.B. auch das bloße Vorzeigen eines Messers aus einer Entfernung von 1,5 Metern nicht als tätlicher Angriff zu qualifizieren sei. Vorliegend sei das Risiko der Klägerin, einen körperlichen Schaden zu erleiden, nicht einmal so groß wie bei einem derart vorgezeigten Messer.
Auch bei einem Schockschaden müsse ein "tätlicher Angriff" gegeben sein
Weiter hat der 10. Senat des LSG ausgeführt, dass ein "tätlicher Angriff" auch nicht deswegen bejaht werden könne, weil die Klägerin durch die Drohungen einen psychischen Schaden erleiden könne. Auch für die Annahme eines sog. Schockschadens müsse zunächst ein "tätlicher Angriff" gegen den Geschädigten oder eine andere Person gegeben sein.
Aus dem Urteil: [...] Ein für die Klägerin günstigeres Ergebnis ergibt sich schließlich auch nicht unter Berücksichtigung der Grundsätze über den sogenannten Schockschaden (vgl. dazu grundlegend BSG, Urteil vom 7. November 1979, Az.: 9 RV 1/78, SozR 3800 § 1 Nr. 1). Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 7. April 2011 (a.a.O.) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch bei den Fällen des sogenannten Schockschadens von dem Erfordernis eines tätlichen Angriffs gegen eine Person keine Ausnahme gemacht wird. Ausreichend ist insoweit lediglich, dass der tätliche Angriff gegenüber einer anderen als der letztlich geschädigten Person ausgeführt worden ist. Sind aber die Handlungen des Täters auch gegenüber den Familienangehörigen der Klägerin nicht von grundsätzlich anderer Qualität gewesen, so fehlt es auch ihnen gegenüber an einem tätlichen Angriff, so dass der Senat der auch von der Klägerin bisher nicht thematisierten Frage nicht nachgehen muss, ob sie etwa durch die gegen ihre Angehörigen gerichteten Drohungen einen Gesundheitsschaden erlitten hat. [...]
Schließlich weist der 10. Senat darauf hin, dass auch das BSG entschieden habe, dass nicht jedes gesellschaftlich missbilligte Verhalten Grundlage eines Anspruches nach dem OEG sein müsse.
Gericht:
Landessozialgericht Niedersachsen - Bremen, Urteil vom 14.11.2013 - L 10 VE 46/12
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