Stalking - Massive nachstellende Handlungen eines Stalkers können auch dann als "tätlicher Angriff" zu werten sein, wenn es zwischen dem Stalker und seinem Opfer nur zu geringfügigen oder gar keinen körperlichen Berührungen kommt. Dem Opfer wurde ein Entschädigungsanspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz zugesprochen.

Der Sachverhalt

Das juristische Portal Rechtsindex informiert über ein Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, bei dem einer Frau der Anspruch auf eine Beschädigtenrente zugesprochen wurde. Die Frau war knapp zwei Jahre, nahezu pausenlosen Belästigungen eines Stalkers ausgesetzt.

Fast täglich erhielt die Frau unzählige Telefonanrufe, SMS, Postkarten und Paketsendungen. Den Ideen des Stalkers waren keine Grenzen gesetzt und so alarmierte dieser unter ihrem Namen wiederholt die Polizei, die Feuerwehr und Rettungsdienste, beauftragte ein Bestattungsunternehmen sowie diverse Pizza-Dienste und bestellte Versandhausartikel. Er lauerte ihr vor der Wohnung und bei der Arbeit auf, verfolgte sie auf der Straße, bedrohte sie und ihre Kinder sowie ihre Arbeitskollegen. Der Stalker wurde wegen der Übergriffe mehrfach bestraft und verbüßte schließlich eine mehrmonatige Freiheitsstrafe. Die Frau ist daran schwer psychisch erkrankt und begehrt eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz.

Dies lehnten das zuständige Versorgungsamt und das Sozialgericht in erster Instanz ab, weil das Gesetz einen "tätlichen Angriff" verlange, der Stalker die Frau aber praktisch nicht berührt habe.

Die Entscheidung

Vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bekam die Frau jetzt Recht.
"Gewaltlose" Nachstellungen eines Stalkers sind in ihrer Gesamtheit jedenfalls dann als "tätlicher Angriff" im Sinne des
§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu werten, wenn sie den Tatbestand der Nachstellung im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB verwirklichen würden, sich zumindest mit bedingtem Vorsatz auch gegen die gesundheitliche Integrität des Opfers richten und auch mit Zwangswirkungen (Flucht- oder Ausweichverhalten) durch physische Präsenz des Nachstellers (Auflauern, Verfolgen, Festhalten des Opfers) verbunden sind.

Dem Entschädigungsanspruch steht nicht entgegen, dass die Handlungen vor dem 31. März 2007 begangen wurden und daher wegen des absoluten Rückwirkungsverbotes nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB nicht als strafbare Nachstellungen im Sinne von § 238 StGB bestraft werden könnten. Bei der opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung sind vielmehr auch die zwischenzeitlichen Rechtsentwicklungen zu berücksichtigen.

Ob Nachstellungshandlungen, bei denen der Nachsteller ausschließlich postalisch, durch elektronische Medien oder telefonisch Kontakt mit dem Opfer aufnimmt und eine Konfrontation des Opfers mit seiner physischen Präsenz unterlässt, als "tätlicher Angriff" betrachtet werden können, bleibt offen.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache hat das Gericht die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Rechtsgrundlagen:
§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG
§ 238 StGB

Vorinstanz:
Sozialgericht Bremen - S 3 VG 37/05

Gericht:
Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18.03.2010 - Az. L 12 VG 2/06

Entscheidungshinweis:


Die hier veröffentlichte Entscheidung ist u.U. überholt. Die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgericht finden Sie unter der Meldung "Stalking nicht generell als tätlicher Angriff anzusehen".



Rechtsindex (ka)
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