Der Sachverhalt
Wie aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Minden hervorgeht, werden gemäß einer national wie europaweit geübten Praxis derzeit männliche Küken aus sogenannten Legelinien - auf die Eierproduktion spezialisierte Rassen - getötet, weil sie zur Eierproduktion nicht geeignet sind und gegenüber zu Mastzwecken gezüchteten Tieren eine verminderte Fleischansatzleistung aufweisen. Somit sind nur weibliche Küken geeignet, während die männlichen Tiere am ersten Tag ihres Lebens oftmals vergast oder lebend zerschreddert werden. Bundesweit betrifft dies jährlich ca. 50 Millionen männliche Küken. Auf Nordrhein-Westfalen entfällt ein Anteil von ca. 5,4 %.
Mit Erlass forderte das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen die zuständigen Ordnungsbehörden auf, die Tötung männlicher Küken aus Legelinien im Wege einer Ordnungsverfügung zu untersagen. Dem kamen die Aufsichtsbehörden nach und untersagten den in NRW ansässigen Brütereien ab dem 1. Januar 2015 die Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung geeigneter Küken. Hiergegen hatten 11 Brütereien geklagt.
Urteile des Verwaltungsgerichts Minden (2 K 80/14 und 2 K 83/14)
Das Verwaltungsgericht Minden hat nun die Untersagungsverfügungen der betroffenen Kreise mit der Begründung aufgehoben, dass es angesichts des erheblichen Eingriffs in die Berufsfreiheit der Betreiber von Brütereien einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfe.
Generalklausel des Tierschutzes reiche nicht aus
Die tierschutzrechtliche Generalklausel in § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG i. V. m. § 1 Satz 2 TierSchG reiche zur Rechtfertigung des mit dem Verbot einhergehenden Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl nicht aus. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze verpflichteten den parlamentarischen Gesetzgeber, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der Verwaltung zu überlassen. Von der unter wortgleicher Geltung des Tierschutzgesetzes seit Jahrzehnten sowohl im In- als auch im Ausland üblichen und nicht nur geduldeten, sondern sogar als gerechtfertigt angesehenen Tötungspraxis könne nicht allein unter Hinweis auf eine geänderte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes abgewichen werden.
Entgegenstehende Interessen der Brütereibetreiber
Dem stünden die schutzwürdigen Interessen der Brütereibetreiber aus Art. 12 Abs. 1 GG entgegen, die derzeit keine marktdeckenden und praxistauglichen Alternativen zur Tötung der männlichen Küken hätten. Die von den beklagten Kreisen angeführten alternativen Möglichkeiten (Geschlechtsbestimmung im Ei, Züchtung eines "Zweinutzungshuhns", Vermarktung der männlichen Tiere im Rahmen der sog. Bruderhahn-Initiative-Deutschland oder als Stubenküken) stellten für die Brütereibetreiber derzeit keine in der Massentierhaltung praxistaugliche oder die allgemeine Konsumentennachfrage deckende Verfahren dar, so dass die Betriebe bei einem Tötungsverbot vor dem Aus stünden.
Ob demgegenüber eine gewandelte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes aus Art. 20a GG generell überwiege, bedürfe einer Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers, bei der er selbst Anlass, Zweck und Grenzen eines tierschutzrechtlichen Tötungsverbots regeln müsse. An einer solchen Entscheidung fehle es bislang.
Unangemessene Übergangsfrist
Daneben hätten die beklagten Kreise bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, dass eine Untersagung allein bezogen auf NRW dem angestrebten Tierschutz nur begrenzt diene und die mit der Tötungspraxis verbundene Tierschutzproblematik lediglich in andere Länder (im Bund oder der gesamten Europäischen Union) verlagere. Ferner sei die den Brütereien eingeräumte Übergangsfrist von einem Jahr unangemessen kurz. Innerhalb nur eines Jahres sei eine breite Nachfrage von Konsumenten, die bereit wären, für Masthähne einen entsprechend ihrer längeren Mastzeit höheren Preis zu zahlen, nicht zu schaffen. Die Berufung wurde zugelassen.
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 30.01.2015 - 2 K 80/14 und 2 K 83/14
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