Öffnet der Fahrer eines geparkten Fahrzeugs unachtsam die Autotür in den Verkehrsraum des fließenden Verkehrs hinein, dann begründet das ein erhebliches Verschulden. Was aber, wenn dessen Beifahrer bereits ausgestiegen ist? Muss der Vorbeifahrende besondere Vorsicht walten lassen?

Der Sachverhalt

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Unfall durch ein erhebliches Verschulden der Fahrerin des am rechten Fahrbahnrand parkenden Fahrzeugs durch Türöffnen in den Verkehrsraum verursacht wurde.

Den Beklagten (den Vorbeifahrenden) trifft kein Verschulden, da nicht zu schnell und ausreichender Abstand, jedoch eine 20%-ige Betriebsgefahr, welche auch hinter dem erheblichen Verschulden des Parkenden nicht zurücktritt. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt.

Das Urteil des Landgerichts Stuttgart (Az. 13 S 172/14)

Die Kammer folgt nicht der Rechtsansicht des Amtsgerichts, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs neben dem erheblichen Verschulden auf Klägerseite bestehen bleibe. Jene tritt hier zurück, so das Urteil des Landgerichts Stuttgart (Az. 13 S 172/14).

Öffnet der Fahrer eines am rechten Fahrbahnrand geparkten Fahrzeugs unachtsam die Autotür in den Verkehrsraum des fließenden Verkehrs hinein, dann begründet das ein erhebliches Verschulden, hinter dem die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs im fließenden Verkehr regelmäßig zurücktritt.1

Gefestigte Rechtsprechung

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tritt die einfache Betriebsgefahr regelmäßig hinter einem erheblichen Verschulden der Gegenseite zurück (vgl. BGH Urteil vom 27.05.2014 - VI ZR 279/13). Gerade bei dem plötzlichen Öffnen der Fahrertür eines parkenden Pkws unter Verstoß gegen § 14 StVO ist nach ganz herrschender Ansicht von einem solchen schweren Verschulden auszugehen, weil das Fließen des Verkehrs nur dann gewährleistet ist, wenn sich die mit angemessener Geschwindigkeit und regelgerechtem Abstand Vorbeifahrenden darauf verlassen können, dass nicht unerwartet eine Fahrzeugtür in den Fahrbereich hinein geöffnet wird2.

Starker Parksuchverkehr - Aussteigender muss immer aufpassen!

Darauf, dass an der Unfallstelle regelmäßig und auch zum Unfallzeitpunkt starker Parksuchverkehr geherrscht habe, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Auch bei regem Parksuchverkehr muss ein Aussteigender mit großer Vorsicht vorgehen und ein Fahrender darf sich darauf verlassen, dass nicht unvermittelt eine Türe geöffnet wird.

Der Beifahrer ist bereits ausgestiegen - Muss Vorbeifahrender mehr aufpassen?

Die Berufungskammer ist der Ansicht, dass Personen auf dem Gehweg vorbeifahrenden Fahrzeugen keinen Anlass geben, einen größeren Abstand als 0,5 m zu parkenden Fahrzeugen einzuhalten oder besonders langsam (deutlich unter 30 km/h) zu fahren. Personen auf dem Gehweg sind ein ständiges und keineswegs zu besonderer Vorsicht Anlass gebendes Phänomen. Eine Vermutung, dass Personen auf dem Gehweg bedeuten, dass demnächst jemand aus dem Fahrzeug steigen werde, neben dem sie sich befinden, gibt es nicht.

Gericht:
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 22.04.2015 - 13 S 172/14

Vorinstanz:
Amtsgericht Esslingen, Urteil vom 04.11.2014 - 7 C 712/14

LG Stuttgart
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1 amtlicher Leitsatz des Gerichts
2
(vgl. beispielhaft LG Saarbrücken Beschluss vom 28.01.2010 - 13 S 228/09; KG Beschluss vom 06.03.2008 - 12 U 59/07; LG Limburg Urteil vom 09.10.2009 - 4 O 341/08; OLG Hamburg Beschluss vom 11.06.2004 - 14 U 35/04; OLG Stuttgart Urteil vom 07. 04.2010 - 3 U 216/09)
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