Hausbesuche von Prostituierten bei behinderten Menschen dienen nicht deren Teilhabe an der Gesellschaft im rechtlichen Sinne. Die Kosten für derartige Besuche werden dementsprechend auch nicht von staatlicher Seite übernommen.

Der Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist schwerbehindert im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100. In seinem Schwerbehindertenausweis sind die Merkzeichen "G", "aG" und "H" eingetragen und die Notwendigkeit ständiger Begleitung ("B") ist nachgewiesen.

Der Beschwerdeführer begehrt verschiedene Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Unter anderem beantragte er die Übernahme der Kosten für Hausbesuche von Prostituierten. Wegen seiner Körperbehinderung sei keine Frau bereit, mit ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen. Daher müsse er die Dienstleistungen von Prostituierten nutzen.

Die Entscheidung des Thüringer Landessozialgerichts (L 1 SO 619/08 ER)

Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf die Finanzierung von Prostituiertenhausbesuchen. Das Ziel der Eingliederungshilfe, ihn als behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, kann hierdurch nicht erreicht werden. Die Förderung von Prostituiertenbesuchen würde weder die Alltagskompetenz des Beschwerdeführers noch seine Einbindung in das Gemeinwesen verbessern.

Der Einzelne hat zwar das Recht zur Selbstbestimmung, in welcher Form er - im Rahmen seiner Möglichkeiten und der grundrechtlichen Werteordnung - sein Sexualleben ausrichtet. Deshalb ist es vom Staat und damit auch vom Sozialhilfeträger nicht zu bewerten, wenn der Beschwerdeführer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen möchte.

In der Rechtsprechung sind bisher gleichgelagerte Anliegen von Sozialhilfeempfängern damit abgelehnt worden, dass die Befriedigung sexueller Bedürfnisse zum Regelbedarf im Sinne der §§ 27, 28 SGB XII gehöre. Anfallende Kosten seien daher durch den jeweiligen Regelsatz abgedeckt.

Der Sozialhilfeempfänger müsse seine sexuellen Bedürfnisse an den Möglichkeiten und Grenzen der Regelsatzhilfe ausrichten und seine Mittel entsprechend einteilen; gegebenenfalls müsse er auf andere Sexualpraktiken ausweichen und die Häufigkeit seines Verkehrs einschränken (vgl. Hamburgisches OVG vom 21. Dezember 1990, Az.: Bf IV 110/89; in diesem Sinne auch VG Ansbach, Urteil vom 5. März 2004, Az.: AN 4 K 04.00052).

Ferner ist bereits entschieden worden, dass durch "Ganzkörpermassagen mit sexueller Komponente" bei einem Schwerstbehinderten die Aufgabe der Eingliederungshilfe, unter anderem seine Eingliederung in die Gesellschaft zu fördern, nicht erfüllt werden kann; die Kosten einer solchen Massage gehörten zu den allgemeinen Aufwendungen für das Sexualleben, das zu den Grundbedürfnissen des menschlichen Daseins gehöre; die Aufwendungen für derartige Maßnahmen seien aus der Regelsatzhilfe zu decken (vgl. Bayerischer VerwGH vom 10. Mai 2006, Az.: 12 BV 06.320). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass aus dem (sexuellen) Selbstbestimmungsrecht eines Patienten jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (hier: Verordnung des Arzneimittels "Viagra") folge; der Gesetzgeber verletze seinen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen aus dem Leistungskatalog herausnehme, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. In ähnlicher Weise kann für den vorliegenden Fall argumentiert werden, dass sich unter der Geltung des Grundgesetzes die Aufgabe der Sozialhilfe darauf beschränkt, dem Leistungsempfänger ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Dies umfasst zwar über die notwendigen Mittel für ein Existenzminimum hinaus die Mittel, die der Art und dem Umfang nach ein an den "herrschenden Lebensgewohnheiten" orientiertes Leben ermöglichen (vgl. Münder und andere, SGB XII, 7. Aufl., Rdnr. 8 zu § 27); eine Steigerung der Lebensqualität jenseits der Grenze, die für ein menschenwürdiges Leben gilt, gehört jedoch nicht zu den Aufgaben der Sozialhilfe. Ein Leben in Würde ist aber auch noch ohne die vom Beschwerdeführer begehrten Sexualkontakte denkbar.

Gericht:
Landessozialgericht Thüringen, Beschluss vom 22.12.2008 - L 1 SO 619/08 ER

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