Deutschland kann EU-Bürgern auf der Grundlage eines allgemeinen Kriteriums, mit dem das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat nachgewiesen wird, "Sozialleistungen für hilfebedürftige Arbeitsuchende" verweigern.

Deutschland kann somit von solchen Leistungen die Personen ausschließen, die einzig und allein mit dem Ziel kommen, eine Beschäftigung zu suchen oder Sozialhilfe zu beziehen, so der EuGH.

Der Sachverhalt

Frau Dano (Rumänin) und ihr (in Deutschland geborener) Sohn leben seit mehreren Jahren in Leipzig in der Wohnung einer Schwester von Frau Dano, die sie mit Naturalien versorgt. Frau Dano hat keinen erlernten oder angelernten Beruf und war bislang weder in Deutschland noch in Rumänien erwerbstätig. Sie ist offenbar nicht nach Deutschland eingereist, um Arbeit zu suchen, und bemüht sich offenbar nicht darum, eine Beschäftigung in diesem Land zu finden.

Frau Dano beantragte Leistungen der Grundsicherung. Allerdings sind die Personen, die sich einzig und allein mit dem Ziel nach Deutschland begeben, in den Genuss dieser Leistungen zu kommen oder eine Beschäftigung zu suchen, nach dem deutschen Recht von diesen Leistungen ausgeschlossen. Das Ziel dieses Ausschlusses ist es, die unangemessene Inanspruchnahme von Sozialleistungen in Deutschland zu verhindern. Das Sozialgericht Leipzig möchte wissen, ob das Unionsrecht einem solchen Ausschluss entgegensteht.

Die Entscheidung

In seinen heutigen Schlussanträgen ist Generalanwalt Melchior Wathelet der Auffassung, dass das Unionsrecht es nicht verwehrt, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines allgemeinen Kriteriums "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" (wie die Leistungen der deutschen Grundsicherung für hilfebedürftige Arbeitsuchende) verweigert werden, sofern mit dem herangezogenen Kriterium (wie z. B. dem Grund für die Einreise des Antragstellers in das Staatsgebiet des Mitgliedstaats) das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit diesem Staat nachgewiesen werden kann und so eine übermäßige Belastung für das Sozialhilfesystem verhindert werden soll.

Der Generalanwalt weist darauf hin, dass das Unionsrecht es Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen gestattet, sich für drei Monate in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörige sie sind, aufzuhalten, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Wenn solche Personen länger als drei Monate bleiben wollen, müssen sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen. Daraus folgt zwangsläufig, dass es bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen im Verhältnis zwischen den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats und den anderen Unionsbürgern zu einer Ungleichbehandlung kommen kann.

Rechtsvorschriften, die Leistungen der Grundsicherung Personen verweigern, die weit davon entfernt sind, sich in den Arbeitsmarkt integrieren zu wollen, und einzig und allein mit dem Ziel nach Deutschland kommen, Nutzen aus dem deutschen Sozialhilfesystem zu ziehen, stehen nach Ansicht von Generalanwalt Wathelet in Einklang mit dem Willen des Unionsgesetzgebers. Damit kann verhindert werden, dass Personen, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, ohne sich integrieren zu wollen, eine Belastung für das Sozialhilfesystem werden. Sie stehen außerdem mit dem den Mitgliedstaaten in diesem Bereich überlassenen Gestaltungsspielraum in Einklang. Sie erlauben es mit anderen Worten, Missbräuche und eine gewisse Form von „Sozialtourismus“ zu verhindern.

Der Generalanwalt stellt zudem fest, dass das von Deutschland herangezogene Kriterium (dass der Betroffene nur deshalb in das deutsche Staatsgebiet einreist, um eine Beschäftigung zu suchen oder Sozialhilfe zu beziehen) geeignet ist, das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats und einer Integration in diesen darzulegen. Dieses Kriterium erlaubt es, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Systems sicherzustellen, ohne sein finanzielles Gleichgewicht zu gefährden. Die deutschen Rechtsvorschriften verfolgen daher ein legitimes Ziel, wie dies vom Gerichtshof verlangt wird. Außerdem ist der Generalanwalt der Auffassung, dass das gewählte Kriterium im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht. Um zu bestimmen, ob der Antragsteller unter den fraglichen Ausschluss fällt und ihm somit die Gewährung der Leistungen der Grundsicherung verweigert werden muss, müssen die deutschen Behörden nämlich zwangsläufig seine persönliche Situation prüfen.

Gericht:
Gerichtshof der Europäischen Union, 20.Mai. 2014 - Rechtssache C-333/13

EuGH, PM 74/14
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